Dettwiler
Regula Dettwiler. Kunst oder Natur?
Text: Martina Gelsinger, Magazin Welt der Frau, 2020
Die Künstlerin Regula Dettwiler untersucht, welche Spuren die von Menschen geschaffene Natur hinterlässt. Wie echt sind Narzissen "made in China" und wie vergänglich sind Seidenblumen?
Blumen am Ort einer Bestattung abzulegen ist ein vertrautes Ritual. In der Krypta der Linzer Ursulinenkirche bäumen sich Lilien, Chrysanthemen, Rosen und Schleierkraut dem Licht der Deckenleuchte entgegen. Einzelne Blüten liegen verstreut an den Rändern.
Im Zusammenspiel von Raum, Licht und den Farben des Blumenteppichs ergibt sich ein eindrucksvolles Bild. Die Üppigkeit steht im Kontrast zu dem sie umgebenden verlassenen Ort und zieht die BetrachterInnen an. Erst ein Blick aus der Nähe lässt erkennen: Die Farben sind verblasst, die Blüten wirken künstlich und tot. Aber der Blumenteppich an diesem Ort, der an den Tod gemahnt, entzieht sich zugleich der Vergänglichkeit. Er besteht aus Plastik- und Seidengebinden, die als Grabschmuck ausgedient haben und im Friedhofsabfall zu finden waren. Diese Blumen lassen keine Gemeinsamkeit erkennen - Astern und Tannenzweige, Chrysanthemen und Narzissen, Kornblumen und Schneerosen verbinden sich zu einem Bild, das den Wechsel der Jahreszeiten ignoriert.
Statt lieblichem Rosen- und Lilienduft erfüllt der Geruch von Kunststoff den Raum. Die Installation mit den scheinbar unvergänglichen und unverwüstlichen Blumen trägt den Titel "für immer".
Wahrhaftigkeit und Täuschung
Regula Dettwiler schafft mit dieser Installation ein Sinnbild für Vergänglichkeit und Dauerhaftigkeit, für Wahrhaftigkeit und Täuschung. Seit mehr als drei Jahrzehnten beschäftigt sich die Künstlerin mit der Natur, mit der von Menschen geschaffene Konstruktion und Simulation von Natur. In ihren Collagen, Rauminstallationen, Aquarellen und Skulpturen verfolgt Dettwiler einen konzeptuellen Ansatz, der Wetterphänomene, Naturkatastrophen, Klimaveränderungen genauso miteinbezieht wie Genmanipulation als Versuch, die Natur zu beherrschen.
Regula Dettwiler wuchs in Oberkulm im Schweizer Kanton Aargau auf. Botanische Bestimmungs- bücher ihres Vaters, eines Lehrers, begleiteten sie durch alle Ausflüge ihrer Kindheit und Jugendzeit und weckten ihr Interesse. Sie studierte an der Kunsthochschule Luzern und von 1991 bis 1996 Bildhauerei bei Bruno Gironcoli an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Seit jener Zeit ist Wien auch ihr Lebensmittelpunkt.
Narzisse made in China
Vor 25 Jahren begann die Künstlerin mit einer umfangreichen Serie, der "Naturgeschichte der Artifiziellen Welt". In der altmeisterlichen Technik der Aquarellzeichnung, mit feinem Pinselduktus und einer nuancierten Farbwahl, bringt sie perfekt gewachsene Lilien, Orchideen oder Kornblumen zu Papier. Ihre Vorlagen sind Plastikblumen, die sie während ihrer Auslandsaufenthalte in Chicago, Paris, Montreal und Tokyo in Shoppingmalls erstanden hat.
Regula Dettwiler löst die Steckverbindungen der Kunstblumen und zerlegt sie in ihre einzelnen Bestandteile. Vorbild ist die Klassifizierung in botanischen Bestimmungsbüchern. Die Titel der einzelnen Zeichnungen verweisen mit einer ironischen Note auf den Herkunfts- und Fundort der Pflanzen - "Narzisse made in China", "Cornflower made in USA" oder "Weihnachtsstern made in Taiwan" - und machen die Absurdität der globalen Massenproduktion einer künstlichen Natur sichtbar. Die Täuschung ist erst auf den zweiten Blick erkennbar, auch in der temporären Installation mit dem Titel "Out of Seasons". Hier "pflanzte" die Künstlerin im Sommer 1999 ein Feld mit 2000 Plastik-Schneeglöckchen im Botanischen Garten in Bern.
Vertraut und doch fremd
In ihren Arbeiten führt Regula Dettwiler sehr unmittelbar die Absurdität von künstlichen Naturinszenierungen und Massenprodukten vor Augen. Dabei findet sich immer wieder Bekanntes und aus dem Lebensumfeld Vertrautes, wie etwa Spitzenbordüren. Mit dieser traditionellen textilen Technik verziert die Künstlerin Blätter von exotischen, oft weit gereisten Zimmerpflanzen, die als preisgünstige Ware in Supermärkten erhältlich sind und als Dekoelemente in Wohnungen dienen. Die Funktion dieser Pflanzen wird damit auf neue Weise sichtbar.
Small Secret Gardens
By Yoko Nose, Curator, Curator Toyota Municipal Museum of Art, 2006
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Artificial Gardens
Gardens are not nature itself but nature modified by human hands; they are somewhere between the natural and the artificial. Raw nature includes forbidding aspects beyond understanding, but in gardens we can come to terms with nature in the context of our own lifestyles, choosing from nature what we find desirable and pleasing. As spaces that straddle the boundary between nature and culture, gardens can also incorporate not only what is genuinely natural but also the artificial environments of the contemporary world. We who live surrounded by man-made things no longer find it easy to recognize the purely natural, and perhaps it is more “natural” for us not to separate the natural from the artificial.
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Regula Dettwiler`s interest lies in what we might be called the artificial nature all around us. In one piece, she has decorated the leaves of an ornamental plant with black lace and named the result Portrait (Maja),alluding to the Maja portraits by Goya. This adorning of a rubber with black lace accentuates the decorative nature of the plant itself and creates an elegant effect. But while pleasing to the eye, it also poses the question of whether or not applying lace to plants can be called “natural” at all. The dressed-up plant strikes the viewer as unnatural and somehow humorous.
Also on display are three of Dettwiler`s plant paintings, which depict artificial sakura(cherry) and ume(plum) blossoms that the artist acquired in Tokyo. All of the artificial flowers depicted in these paintings were made in China, and one can surmise that identical products are distributed the world over. Artificial flowers are copies of nature that have been dissociated from the native region of the original plant and are “natural” decorations of a kind that does not wither or decay. After travelling the world collecting artificial flowers, Dettwiler, like a botanist returned from field work, dismantles and scrupulously paints them. One senses in this approach an ironic wink toward the increasingly compartmentalized and specialized world of modern nature observation. In the works themselves, however, one discerns nor only irony but more importantly the sheer mastery of a form of human artifice that creates the illusion of nature. While undermining the boundaries between the natural and the artificial, Dettwiler generates a new realm that is fascinating precisely because it is unnatural.
Susanne Witzgall
In (re)designing nature, Aktuelle Positionen der Naturgestaltung in Kunst und Landschaftsarchitektur, Hatje Cantz Verlag, 2010
Regula Dettwilers Arbeiten zeigen immer eine höchst artifizielle Natur. Ob es sich um eine Gartenanlage im Außenraum handelt wie bei der Landschaft mit Tierenin Tulln oder um Pflanzenkreationen im Ausstellungskontext wie o.T. (Rüdiger)und Schläft ein Lied in allen Dingen, stets sind Boden, Flora und Fauna vom Menschen zugerichtet und stellen diese Zurichtung auch deutlich zur Schau: Die künstlich aufgeschütteten Hügel der kleinen, von Haustieren belebten Landschaft in Tulln erheben sich zu unvermittelt. Die Maßstäblichkeiten zwischen ihnen sowie den Tieren, den Häusern und den Seen – Miniaturimitaten des Aral- und Chiemsees – sind so disparat, dass die Landschaft mit Tierenfast zur Karikatur einer modell- und versatzstückhaft zusammengesetzten Naturgestaltung wird. Auch die Säumung des Gummibaumgrüns mit Bordüren in o.T. (Rüdiger)treibt die Verkünstlichung der Natur humorvoll auf die Spitze. Rüdigers Zierbänder an den Blätterrändern rücken die Topfpflanze – schon an sich domestiziertes Hausutensil – in die Nähe dekorativ eingefasster Gardinen oder verzierter Sofakissen. Die herbarisierten Pflanzenblätter in Schläft ein Lied in allen Dingensind dagegen zu Rorschach-Tintenklecksmustern beschnitten. Diese bizarren Formationen verwandeln sich, jenseits ihres einstigen pflanzlichen Ursprungs, vor den Augen des Betrachters in fragile Phantasiegestalten oder traumhaftes Getier.
Zentrales Thema der in Wien lebenden Schweizer Künstlerin ist die menschliche Aneignung bzw. Vereinnahmung von Natur, deren Kultivierung und Indienstnahme für verschiedene menschliche Bedürfnisse von Unterhaltung bis Dekor. Gleichzeitig spielt Dettwiler immer wieder auf die Konstruktion unseres Naturbildes an, darauf, dass nicht nur unsere Naturgestaltung, sondern schon unsere Wahrnehmung von Natur voreingenommen und interessengeleitet ist. So verweist die Werkreihe Schläft ein Lied in allen Dingen, die sich auf den berühmten Rorschach-Test, ein psychodiagnostische Testverfahren zur Erforschung der Persönlichkeit, bezieht nach Regula Dettwiler auf die „Natur als Projektionsfläche menschlicher Sehnsüchte und Ängste“.
Susanne Witzgall
In (re)designing nature, Aktuelle Positionen der Naturgestaltung in Kunst und Landschaftsarchitektur, Hatje Cantz Verlag, 2010
„Treibhaus“
Kiki Seiler-Michalitsi, 2006
Regula Dettwiler, 1966 in Oberkulm geboren, in Luzern die Schule für Gestaltung absolviert, lebt und arbeitet in Wien, wo sie auch ein Studium der Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste absolvierte. Regula Dettwiler verbrachte mehrere Stipendienaufenthalte im Ausland, wie in Chicago, Paris, Montreal und Japan. Sie nimmt regen Anteil an Ausstellungen, an welchen sie mit unterschiedlichen Medien wie Aquarell, Photographie, Video, Diaprojektion, Computeranimation und Installation der Frage nach heutiger Naturerfahrung und Naturerlebnis anhand von Natursimulationen, inszenierten Orten und Ersatzwelten (wie Shopping Malls und Entertainment-Komplexen) nachgeht. Ihre Aufmerksamkeit gilt dabei dem „Künstlichen“ als Inbegriff heutiger künstlich generierter Natürlichkeit, Idylle versprechender Simulation. Seit mehreren Jahren arbeitet Regula Dettwiler außerdem wie eine Naturforscherin an einer „Naturgeschichte der artifiziellen Welt“ („Florilegium“), in welcher sie künstliche Blumen, vor allem Orchideen aus asiatischen Ländern, in Einkaufszentren aufgespürt, minutiös in ihre Bestandteile zerpflückt und sie per Aquarellieren in scheinbar wissenschaftlicher Manier botanischer Tafeln und Illustrationen des 18. Und19. Jahrhunderts auf Papier zu taxinomieren und katalogisieren pflegt – eine Arbeitsweise, die an die „Histoire naturelle „ von Max Ernst oder bestimmte Arbeiten von Marcel Duchamp erinnert. Nicht selten präsentiert sie Befunde und Ergebnisse ihrer Recherchen auch in Form von Diashows, um Fragen wie Züchtung, Kultivierung, Natürlichkeit und Künstlichkeit, Simulation von Natur zu thematisieren.
Ihre Auseinandersetzung mit der vorgegebenen Thematik Treibhaus und Villa Wenkendorf führte zur Installation „Louis und Louis“, Pflanzenskulpturen und „sculptures vivantes“ zugleich, die sich auf die beiden im Gartensaal des Hauses hängenden Porträts Louis XIV und Louis IV beziehen. Zwei Gummibäume, exotische Pflanzen aus südlichen Gefilden eigentlich, die in unseren Breitengraden nur in Innenräumen, in Wintergärten oder in Treibhäusern überleben können. Mit ihren ledrigen, fetten Blättern, mit Goldbordüren wie barocken Halskrausen eingefasst, wie seltsame Blüten in verwegener Nähe zum Kitsch, unterstreichen sie die barocke Idee von der Verkünstlichung von Naturschönheit, korrespondieren mit der den französischen Barock nachahmenden Architektur des Hauses, der Barock- und Rokokopflanzenornamentik, der Stuckdekorationen im Saal. Sie mischen sich somit in die durch Adolf Loos (Wiener Architekt und Polemiker) provozierten Gespräche über das Verbrecherische am Ornament ein. Sie unterstreichen die Künstlichkeit der nachempfundenen Bildnisse des Sonnenkönigs und Louis XV und erinnern an das maßlos auf die Spitze getriebenen Rüschenwerk an den Prunkkleidern und Kostümen, in welchen der Barock- und Rokokomensch seine lustvollen „Fêtes galantes“ feierte, Wollust und Pracht, Nektar und Purpur zelebrierend. „Louis und Louis“, Porträts, Spitzen-Pflanzen-Skulpturen und Pflanzenhybride, glamourös herausgeputzte Beauties und dekadente Divas, erhaben und vergänglich zugleich, unter Kronleuchter für den großen Auftritt inszeniert, erinnern auch an das um 1800 beliebte sogenannte „Bilderwerfen“, das Gruppieren von Personen nach einem Meisterwerk der Malerei, das sich in den Gewächshäusern in Form von Pflanzenarrangements wiederholte, das die orientalischen Bilder von Eugène Delacroix und ihrer Zeitgenossen zur Vorlage hatte. „Louis und Louis“, seltsame Mutanten einer artifiziellen Natur wie sie Oskar Wilde in der Gestalt des ironischen Dandys Vivian vermittelte. Sichtbare Natur bedeutetet für Vivian Nachahmung der Kunst, die er von der Welt des Salons aus, wo Kunst Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens war und das Leben zum Kunstwerk werden sollte, durch das Fenster von seinem Fauteuil aus als Ausschnitt, als Bild erlebte. Und in Joris-Karl Huysmans´ Roman „À rebours“ („Gegen den Strich“, 1884), der zum Kultbuch der literarischen Dekadenz des Fin de Siècle avancierte und für Regula Dettwiler eine Inspirationsquelle für ihre Spitzenpflanzenarbeit darstellt, flieht sein Held Jean des Esseintes, Inbegriff des Dandys, aus der als trivial empfundenen Wirklichkeit in ein selbst erschaffenes künstliches Paradies, wo anfangs Blumen aus falschen Äquatoren (Treibhäusern) durch Wunderwerke , Surrogate aus Kautschuk und Drähten, Perkalin und Taft, Papier und Samt ersetzt und die Superiorität des Künstlichen zelebriert wurden. Doch „nach den künstlichen Blumen, die wirkliche Blumen nach ahmten, wollte er natürliche Blumen, die falsche Blumen zum Vorbild nahmen...“. „Louis und Louis“ , Präziose einer designten skurrilen Welt, Konstrukte und Simulakren führen vor, wie das Kunstschöne dem Naturschönen den Rang abläuft und Naturzeit sich in Kunstzeit verwandelt. „Die Natur ist nichts im Vergleich zu dem, was wir konstruieren können“ (E.A. Poe).